Ein langer Tag.

Ein langer Tag.

6:35, donnerstagmorgen nach dem tod.

ich sitze im wohnzimmer auf der couch. tobi und meine mutter schlafen noch, aber ich höre, wie sich oben jemand bewegt. einer von ihnen steht also gerade auf. ich habe meine mutter zu mir geholt, niemals hätte ich sie alleine in ihre wohnung gehen lassen können mit dieser ganzen leere. das ist auch der grund, weshalb ich erst jetzt schreibe. schon donnerstag. ich wollte schon die ganze zeit schreiben, es kommt immer mehr hinzu, das ich aufschreiben will, und ich habe angst, dass ich irgendwann ein paar sachen vergesse, doch so viel stress und so wenig schlaf und dann ist da natürlich noch meine mom. ich habe immer gesagt, das schöne am tagebuch ist, man kann sein leben zweimal leben. einmal richtig und einmal beim aufschreiben. und genau genommen jedes mal, wenn mans nochmal durchliest. aber ist das tatsächlich etwas, was ich nochmal leben will? .. und wie könnte ich überhaupt irgendwas von den letzten zwei tagen vergessen?

bevor ich den letzten eintrag (den „stille“) geschrieben habe, am dienstag (scheint mir wie eine trilliarde jahre her zu sein), habe ich mich ganz normal für die arbeit morgens fertig gemacht. okay, von „ganz normal“ kann da schon nicht mehr die rede sein. ich hatte am montag nach dem besuch im altersheim so viel geheult, dass mein ganzes gesicht noch angeschwollen war und mein schädel brummte, geschlafen habe ich ja auch null, das hatte ich ja schon in dem anderen eintrag erzählt. trotzdem fleißig morgens aufgestanden, die angeschwollenen augenlider versucht wegzuschminken, meinen tee und mein essen für die arbeit gemacht. trotzdem war da schon die ganze zeit dieser kampf gegen die tränen, dieses: ok, jetzt acht stunden lang versuchen die fassade aufrecht zu erhalten.

auf der arbeit habe ich direkt angefangen, „stille“ zu tippen. nichts anderes habe ich gemacht. immer wieder durchgeatmet, damit ich nicht zu heulen anfange.

in unserer firma haben wir um 9:00 immer bis 9:20 frühstückspause. ich habe ein bisschen gurke gegessen, die ich mir morgens eigentlich für das mittagessen zusammengeschnitten habe, aber auf mein haferflocken-joghurt-frühstück hatte ich keinen bock. zu schwer. zu viel. und eigentlich hatte ich eh schon so das gefühl, dass ich aus irgendeinem grund diesen tag nicht komplett auf der arbeit verbringen würde. ich hatte ja am nachmittag diese eine wichtige besprechung, die ich nicht verschieben wollte, aber irgendwie hatte ich schon gedacht, dass ich die eh nicht erleben würde.

um 9:14 hat meine mutter mir eine nachricht im whatsapp geschrieben. „das heim hat angerufen, ich soll kommen. eurem vater geht es sehr schlecht.“ – ich hab sofort geantwortet: „okay, soll ich auch kommen?“ ihre antwort habe ich schon gar nicht mehr abgewartet, sondern direkt meine sachen zusammen gepackt. sie hatte es zwar sofort gelesen, aber ging dann offline. meinem gruppenleiter habe ich im teams geschrieben: „du, ich muss jetzt ganz spontan leider nach hause. so wie es aussieht, liegt mein vater im sterben..“ mein gruppenleiter sitzt nur ein paar meter von mir weg im gleichen büro, aber wenn ich das face to face gesagt hätte, hätte ich losgeschluchzt. „oje, alle klar“, hat er sofort geantwortet. meine mutter hatte in der zwischenzeit auch geanwortet: „ja“ und ich bin sofort aufgestanden, meine tasche übergeworfen und bin gegangen. ich glaube, zu dem zeitpunkt hatte ich schon nicht mehr nur glasige augen, sondern da liefen schon die tränen wortlos runter. der affe hat aufgeguckt, als ich aufgestanden bin und mich gefragt bzw. ein verwirrtes, fragendes gesicht gemacht und ich nur: „ich muss ins krankenhaus…“ – dachte das wort „krankenhaus“ erklärt es besser als „altersheim“. auf dem weg zum mitarbeiterparkplatz schluchzend und heulend kam mir hier und da ein mitarbeiter entgegen, die konnten sich aber schon denken, was ungefähr passiert sein musste und haben mich verständnisvoll angeguckt. ich hab auf halbem weg gemerkt, dass ich meine tragetasche mit meinem essen vergessen hatte. joghurt, rohkost, obst. scheiß drauf, dann gammelt das halt jetzt die nächsten tage da rum, die blöße da jetzt wieder zurückzulaufen gebe ich mir nicht. losgefahren. durch die boxen brüllte „one day the only butterflies left will be in your chest as you march towards your death“ von bring me the horizon feat. amy lee. das brüllt schon seit tagen durch alle boxen, habe ich am sonntag beim duschen durch zufall wieder neu für mich entdeckt und suchte das gerade.

um zum altenheim zu kommen, fährt man eh bei mir daheim vorbei, also kurz zu mir nach hause. ich hab meine arbeitstasche auf den boden geschmissen und mir kurz etwas zu trinken in eine handtasche gepackt. tobi hat die nachrichten im familienchat mit meinem bruder gelesen, die ich irgendwann – keine ahnung mehr wann – da reinkopiert hatte, also den chatverlauf mit meiner mutter. er kam sofort die treppen runter, als er mich hörte und meinte: „fährst jetzt rüber?“ – „ja“, sagte ich heulend – „soll ich mitkommen?“ – „du musst doch arbeiten, du hast doch bestimmt termine?“, tobi ist ja immer ein ganz wichtiges glied in seiner firmenkette, und außerdem sind gerade zwei drittel seiner abteilung an corona erkrankt. – „ich kann aber trotzdem mitkommen, wenn du willst. muss nur kurz dem kollegen bescheid geben, ich bin gerade eigentlich in einem meeting.“ – .. bisschen gehadert, will ich tobi zu sowas wirklich mitnehmen? – „also jetzt gehts gerade noch, aber wenn er jetzt stirbt, dann keine ahnung, ob ich nachher heim fahren kann“, beim wort „stirbt“ habe ich losgeschluchzt. tobi ist sofort zurück ins büro gesprungen, um den kollegen zu sagen, dass er jetzt weg muss. – „ich muss mir nur kurz noch was anziehen und zähne putzen, ja?“ hat er von oben runtergeschrien. – „ja, alles gut“, sagte ich bedröppelt und leise weinend auf der trippe sitzend.

wir sind losgefahren, tobi ist gefahren. bei uns im wohngebiet gibt es so einen kleinen hügel und davor so eine große kreuzung. das ist nur ein paar meter von meinem haus entfernt, da lauf ich nicht mal ne minute hin. hinter dem hügel kommt eine festhalle, von der ich immer denke, dass da eine schule ist, aber ist nur eine festhalle. ich hab das als „schule“ im kopf abgespeichert. nach dieser kreuzung fuhren wir diesen hügel hoch und ich schau aufs handy und sehe nur im sperrbildschirm: „papa ist verstorben leider“ von meiner mom, ich hab sofort das handy weggeworfen und bin sofort weinend, schreiend, zusammengebrochen und hab geschluchzt: „er ist tot.“ ich hab in meine handflächen geschluchzt, das war mehr ein schreien, weniger nur schluchzen, tobi ist sofort auf den parkplatz von dieser „schule“ gefahren und hat mich gedrückt, während ich weitergeschluchzt hab. ich glaube so.. ein, zwei minuten lang. „sollen wir trotzdem jetzt weiterfahren?“, hat er vorsichtig gefragt und ich so heulend: „ja“ und hab mein handy wieder aufgehoben, hab meiner mutter geantwortet: „scheiße, ich komme.“ – während tobi weiterfuhr, hab ich in den familienchat geschrieben: „er ist gestorben“ und .. keine ahnung mehr. wir sind aus meinem wohnort gefahren. bzw. waren unterwegs. auf der brücke im industriegebiet hab ich gesehen, dass mein bruder immer noch nicht geantwortet bzw. die nachricht gelesen hatte, also hab ich angerufen. ewig geklingelt, er konnte sicherlich nicht so schnell ran, weil er ja auf arbeit war und vermutlich erst einen ort zum telefonieren suchte. er hob ab. – „hallooooo“, sagte er mit ganz lieber, leicht fröhlicher, sanfter stimme, so wie mein bruder in solchen situationen ist. – „der baba ist gestorben“, hab ich heulend geschluchzt, „wir fahren jetzt hin, wir sind aber noch in mein wohnort“ hab ich weitergeheult. mein bruder war ganz .. perplex und meinte zaghaft, traurig, schockiert, keine ahnung: „öh ja.. dann .. komm ich auch.“ – „ok bis dann“ – aufgelegt.

die fahrt war komisch. wir fahren ja ne stunde ungefähr da hin. an vieles kann ich mich nicht erinnern. ich weiß nur noch an einer bestimmten stelle, das war ungefähr zehn minuten vor ankunft auf der schnellstraße: „komisch, ich werde jetzt gleich meinen vater tot sehen.“ ich habe mich mit tobi da drüber unterhalten, dass ich meinen vater nie tot sehen wollte oder überhaupt irgendjemanden, den ich kenne, der mir nahe steht, oder einfach überhaupt irgendjemanden. ich will keine leichen sehen und hatte immer angst vor einem solchen moment. aber in dem moment, in der situation, war da alles wie weggeblasen, ich MUSSTE ihn einfach sehen. ich hatte respekt davor, wie es sein würde, ob ich schockiert wäre, ängstlich vor der ‚leiche‘, aber das stand gar nicht außer frage. abgesehen davon hat es die situation sowieso erfordert, ich hätte ja kaum meine mutter den ganzen tag in dem zimmer alleine mit meinem toten vater sitzen lassen können.

wir sind beim altenheim angekommen und genau in der sekunde sehe ich meinen bruder zum haupteingang laufen. ich hab die tür noch während das auto gerollt ist, aufgerissen und geschrien: „kevin!“, er hat sich umgedreht, mich gesehen und ist sofort hergelaufen. wir sind uns direkt in die armen gefallen und haben uns so fest gedrückt wie noch nie in meinem ganzen leben. keine scham und berührungsängste mehr, die situation war zu krass für so einen quatsch. ich hab geschluchzt, mein bruder gab keinen ton von sich, aber als ich ihn losgelassen hatte, habe ich seine roten augen gesehen und wusste, dass er auf der fahrt hierher auch durchweg geweint haben musste. wir haben uns kurz unterhalten und ich meinte: „willst du baba eigentlich sehen?“ – „eigentlich gar nicht“, man merkte, wie ihm das schwer gefallen ist. er wollte wirklich echt keinen toten vater sehen, das hab ich sofort gemerkt. wir sind den aufzug hochgefahren, die pflegerinnen haben uns sofort gesehen und ich glaube, sie haben ihr beileid ausgesprochen oder zumindest irgendwas nettes gesagt, keine ahnung mehr, ich erinnere mich nur, dass wir lieb und sanft aufgenommen wurden. „sie wissen ja wohin“, an das erinnere ich mich noch. wir sind den gang entlang gelaufen, mein bruder vor mir, tobi hinter mir. vor der tür angekommen, dachte ich, wir laufen da jetzt „ganz normal“ rein, also in einer bewegung, wie wir auch zum zimmer gelaufen sind, mein bruder nahm die klinke in die hand und ohne sie runterzudrücken hat er gestockt, sich zu mir umgedreht und tief durchgeatmet. er sagte: „boah, ich will das echt nicht. aber ich mach das jetzt für mama.“ – ich fand es höflicher und mitfühlender auf den ersten satz zu sagen: „ich auch nicht“, auch wenn das nicht der wahrheit entsprochen hat. wir sind reingelaufen, ich hab hatte meine hände an den mund und meine arme gegen die brust gepresst und geweint, und.. boah, ich werd das nie vergessen, wie ich so langsam in den raum reinlief, zuerst sieht man aufgrund des wandschranks und des badezimmers hin aufs bett, so langsam tat sich halt das bett vom fuß an auf und je näher man kam erstreckte sich das ganze bild. mein vater lag schon ruhig gebettet auf dem bett, meine mutter saß rechts davon wie ein häufchen elend auf einem stuhl. er lag da mit leicht erhöhter sitzlehne, seine arme bzw. hände wurden schön zusammengelegt auf seinem bauch, so, wie wir ihn seit dem schlaganfall nie wieder gesehen hatten, da die linke hand immer verkrampft am körper angewinkelt war. sein kopf wurde gestützt durch ein handtuch, das zusammengerollt unter seinem kinn platziert war. mein bruder ist sofort zu meiner mutter gegangen und hat sie leicht gedrückt, ich bin danach auch zu ihr hin und habe sie in den arm genommen, während sie immer noch auf dem stuhl saß, obwohl ich eigentlich nur zu meinem vater wollte. ich hab mir gleich den hocker von gestern geholt und mich ganz nah an die andere bettseite gesetzt und mich sofort meinem vater zugewandt. gar keine berührungsängste, ich glaub, da waren sogar noch mehr berührungsängste, als er noch am leben war. er sah aus, als würde er nur schlafen. ich hab den arm berührt und merkte, dass er kalt war. seine arme waren jedoch auch schon zu lebzeiten immer kalt. ich hab meine flache hand auf seinen bauch gelegt, um zu fühlen, ob dieser noch warm war und das war er tatsächlich noch leicht. war das seltsam. je länger wir da saßen, desto mehr und öfter habe ich immer wieder den arm angefasst, die haut hat sich noch ganz normal angefühlt, also so weich und zart wie sie seit dem schlaganfall bzw. vorallem in den letzten jahren immer angefühlt hatte.

meine mutter hat die ganze zeit eher stiller vor sich hergeweint und ziemlich schnell hat es sie wieder übermannt und sie ist dann zu meinem vater und hat sich schluchzend mit offenen armen auf ihn draufgeschmissen und ihn umarmt. dabei ist das zusammengerollte tuch an seinem kinn hervorgerutscht und dabei ist sein mund aufgefallen. der anblick war so ein leichter schockmoment. da merkte man richtig, dass er tot war und dass es eben doch eine leiche ist. meine mutter hat gleich weinend sich darum gekümmert und hat die rolle wieder unter sein kinn geklemmt, wenn auch nun zwei zähne hervorguckten. als sie sich wieder beruhigt hatte, setzte sie sich wieder hin. ich starrte auf diese zwei zähne und das störte mich so sehr, dass ich versucht habe, die lippe wieder über die zwei zähne zu tun, aber .. nach dem ersten versuch setzte sehr schnell diese.. innere panik vor einer leiche ein, keine ahnung. ich hab sofort meine hände weggezogen, weil ich eh merkte, dass das mit der lippe nicht so einfach wäre, und habe es so gelassen.

keine ahnung, wie es weiterging, echt jetzt. wir haben geweint, uns unterhalten, geweint, geredet.

meine mutter hat auch viele sachen gesagt, die habe ich sie meinen lebtag nicht sagen hören, so von wegen: „der arme“ und all sowas. da hat man dann gemerkt, dass da doch irgendwo liebe sein musste, auch wenn ich mein leben lang nur ihre wut gegenüber meinem vater kannte. generell habe ich die letzten zwei tage sehr viel gelernt über die zeit bevor wir kinder geboren wurden, viele geschichten von früher und es klang als eine der wenigen male schon für mich so, als wären sie früher glücklich und verliebt gewesen. das mag für andere krass klingen, aber für mich ist das halt ungewohnt, meine eltern als liebespaar anzusehen, da sie das nie gelebt haben, seit wir kinder da sind.

 

boah ist dieser eintrag anstrengend, ich sags euch. keine ahnung, wie lange ich auch hier noch weitertippen kann, meine mutter steht sicherlich gleich auf.

ich weiß nicht, wie es weiterging. wir haben halt irgendwie.. zeit da in dem zimmer verbracht. ich weiß auch noch, dass ich irgendwann gesagt habe: „ich weiß nicht, ob das makaber ist oder krass, aber ich muss fotos machen.“ ich habe dann zwei fotos gemacht, bzw. vier, zweimal die gleiche position nur gezoomt. ich hätte nie gedacht, dass ich mal so reagieren werde, wie ich reagiert habe. dass ich ihn sehen will, ihn anfassen will, sogar fotos mache. NIEMALS hätte ich gedacht, ich war immer davon überzeugt, dass ich sowas „ekliges“ nicht sehen will. aber genau genommen war das einfach nur mein vater, so wie vorher auch. zumindest hat es sich sehr lange so angefühlt.

was ich zum glück sofort und sehr schnell in dieser neuen situation als „die mit dem toten vater“ gelernt habe, ist, dass ich .. machen kann, was ich will. wenn ich ein foto machen möchte, dann mache ich das auch. ich bin die trauernde, ich darf das. und wenn ich jetzt lache, weil jemand einen witz gemacht hat oder sogar, weil ich in dieser neuen situation einen witz gemacht habe, dann darf ich das auch. ist ja auch mein vater gewesen. wisst ihr doch nicht, wie scheiße oder gut oder sonst was es mir jetzt geht und selbst wenn, ist ja mein bier. (damit meine ich nicht euch leser, sondern potenziell kritisierende leute, die gesellschaft versinnbildlicht, blah, ihr wisst, was ich meine)

meine mutter ist aufgestanden. ich weiß nicht, wie lange ich noch weitertippen kann.

irgendwann meinte meine mutter auch besorgt: „ich weiß gar nicht, wie es jetzt weitergeht? was machen wir jetzt? bestattungsunternehmen anrufen? was machen sie jetzt mit ihm?“ tausend fragen und sorgen, anstatt nur zu trauern. so ist meine mutter, immer voller angst dem gegenüber, was andere von ihr fordern könnten. – „tobis mama ist trauerbegleiterin und sie hat ja noch vor ihrer rente für die altenheim, diakonie, pflegedingsda (genauso hab ichs gesagt) gearbeitet, die weiß alles, was man machen muss“, hab ich ihr gesagt zur beruhigung, und tobi fügte hinzu: „ich kann sie auch jetzt anrufen, die kommt sicherlich sofort her und kümmert sich. die ist ja daheim.“ – er hatte auch schon auf der fahrt angeboten sie zu holen. – „ja, später ok, aber das will ich erstmal jetzt alleine ohne deine familie machen.“ – „ja klar, ich ruf sie einfach an, wenn du es sagst“, das war die unterhaltung im auto.

etwas später haben wir sie dann doch angerufen und meine „schwiegereltern“ kamen vorbei. vor dem vater halte ich mich ja eigentlich immer etwas distanziert, also nicht deutlich ihm gegenüber, aber ich bin halt eher close mit tobis mutter. sein vater ist eher etwas schwierig, wie ihr wisst, und tobis mama ist so eine richtig liebevolle, fürsorgliche person. sie hat auch gleich ruhig und einfühlsam, aber auch sehr professionell mit meiner mutter geredet und alles geduldsam erklärt. dass man jetzt einen termin mit dem bestattungsunternehmen machen muss, meine mutter hatte sogar schon auf anraten vom pflegepersonal, noch bevor mein bruder und ich ankamen, mit dem bestatter telefoniert, aber ich glaube, da ist nicht viel gelaufen, nur, dass da halt jetzt jemand gestorben ist und sie die ehefrau ist und so. quasi „bescheid“ gesagt, dass da jetzt bald ein auftrag kommt, zumindest klang es mehr oder weniger danach, als mein bruder dann nochmal beim bestatter angerufen hat.

und dann ging eigentlich alles ganz schnell. wir hatten einen termin beim bestatter für um 13:00, ich glaube, zu dem zeitpunkt, als mein bruder anrief war es so 11:30.. angekommen beim altersheim mussten wir so um .. keine ahnung.. 10:20-10:30 rum, wenn ich es richtig rekonstruiere. wir unterhielten uns noch etwas mit tobis eltern, das brachte auch irgendwie so kurz den alltag wieder zurück. also mehr organisatorisches und „wie alt war er denn nun?“ und all sowas. tobis mama hat meiner mutter dann erklärt, was sie zum bestatter alles mitnehmen muss, daraufhin haben mein bruder und meine mutter ausgemacht, dass sie zusammen zur wohnung fahren und die sachen holen. tobis eltern haben dann gesagt, dass sie, wenn sie jetzt nichts mehr tun könnten (was ja auch so war), demnächst wieder heimfahren, weil wir ja jetzt einige sachen zu erledigen hätten. ich fragte noch so: „ja wie läuft das dann jetzt? wenn wir jetzt zum bestatter gehen, .. wann.. wird er dann geholt? was funktioniert das?“ – „wenn ihr beim bestatter wart, wird er sofort abgeholt.“ so von wegen, JETZT ist quasi das letzte mal, ich kann dann nicht mehr hinkommen und ihn sehen, bzw. so war das jetzt „geplant“. in zwanzig minuten müssen wir los zum bestatter und da ist finito. so hat sich das angefühlt. mein bruder und meine mutter sind dann „spontan“ schnell losgefahren zur wohnung wegen den papieren, ich war etwas perplex, dass die sich nicht richtig verabschiedet haben von meinem vater, sondern einfach schnell los. meine schwiegereltern meinten, sie würden mich jetzt alleine lassen und unten warten. tobi meinte, er bleibe gerne hier, „oder soll ich auch gehen?“ – „kannst du ruhig“ – „nee, ich bleibe auch bei dir“ – ich hab irgendwie so eine gestik gemacht und glaube ich nur weinend ein wort gesagt, keine ahnung, dass er bitte gehen soll. das war so komisch, dass sogar tobi mir in dem moment zu viel war und das, obwohl er mein zufluchtsort nummer eins ist.

und dann war ich alleine mit ihm. war das komisch. traurig. schockierend. beängstigend. ich muss das so flach sagen, aber .. es kamen echt so leichen-vibes hoch. irgendwie ja und irgendwie nein. ich habe künstlich versucht mich selbst zu diesem level pushen: „das ist jetzt ein krasser, besonderer moment, das ist jetzt der abschied, mach irgendwas krasses, LOS FÜHL ES, FÜHL WIE KRASS DAS JETZT IST, DAS IST DER MOMENT, VOR DEM DU DEIN LEBEN LANG GEFÜRCHTET HAST“ ich bin in dem zimmer rumgelaufen, habe geweint und habe ihn die letzten mal mit „baba“ angesprochen. ich hatte irgendwie leichte berührungsängste, aber irgendwie habe ich mich dazu „gezwungen“ gefühlt ihn nochmal zu umarmen. ich habe ihn dann umarmt und es fühlte sich starr, hart und kalt an. es fühlte sich nach leiche an. ich musste die sache irgendwie.. tragisch, dramatisch, schlimm, bedeutsam machen, habe mich selbst total unter druck gesetzt und wusste auch nicht, wie ich mich verabschieden sollte, also bin ich irgendwann weinend gegangen, habe gefühlt tausend mal nochmal zurückgeschaut und gesagt: „nachti baba.“

unten haben tobis eltern auf einer bank gesessen, tobi zwischen seinen eltern. es war super sonnig und heiß, allgemein die ganzen tage über. son richtig geiles wetter, wie die meisten finden. total unpassend für einen todesfall. ich bin zu ihnen hingelaufen und meinte müde lächelnd: „oh man, was fürn tag ey…“ oder irgendwie sowas.

tobis eltern haben sich verabschiedet und angeboten, jederzeit nochmal vorbei zu kommen oder dass wir anschließend auch zu ihnen kommen könnten zum kaffee trinken und bisschen „durchatmen“ oder wenn irgendwelche fragen wären, die ja tobis mama dann beantworten kann. tobi meinte irgendwann im laufe des weiteren tages dazu auch noch: „mein vater ist auch nachher weg…“ – ich musste schmunzeln. meinte so: „schön, dass du das extra erwähnst.. weil…“ ich hab zu lachen angefangen, ich glaube, das war auf dem weg zum bestatter, „naja dein vater ist…“, er musste auch grinsen und meinte: „ich weiß.“

die frau beim bestattungsunternehmen war sehr lustig. was vielleicht in anbetracht dessen komisch klingen mag, aber das war sehr gut. es hat die situation aufgelockert. „ja, viel berufserfahrung zu haben zahlt sich aus“, lachte sie, passend zu irgendeinem satz, nicht diesem, aber das passt ja hier auch.

erstmal gings dran, dass sie personalien von uns allen aufnimmt, sie hat tobi fragend als erstes angeschaut, weil der direkt neben meiner mutter saß und tobi fing ganz automatisch an seine daten zu diktieren und ich so: „moment, du bist doch kein sohn. ich glaube mal, sie wollen nur die daten der verwandten?“ – und tobi lachte leicht und meinte irritiert: „oh achso, sorry, ja logisch!“ und die frau lachte: „ach, ich nehm auch ein drittes kind mit auf, kein thema!“ und ich lachte: „oh, da hätte ich aber was dagegen, wenn das plötzlich mein bruder wäre.“ .. sie fragte nach meinen daten, ich diktierte ihr meinen vollen namen und sie fragte: „nachname auch immer noch xyz?“ – und ich so ja.. und dann sagte ich leicht drohend und witzelnd zu tobi: „und das bleibt auch so!“ und die bestatterin lachte und sagte: „das kann ich total nachvollziehen! ich heiße auch immer noch abcd und mein mann efg. ich habe gleich gesagt: ich bleibe eine abcd!“ das lustige daran war, dass die bestatterin und meine mutter beide fast die gleichen vornamen hatten, meine mutter nur die lange form und die bestatterin die kurze, aber beide genau die gleiche (unübliche) schreibweise. die bestatterin meinte: „ja, aber meine schreibweise liegt daran, dass die hebamme sich verschrieben hat und genau das wurde dann im standesamt eingetragen.“ wir haben die ganze zeit immer wieder solche witzchen gemacht, ich war während des gesamten besuchs beim bestatter die einzige, die immer mal wieder geweint hat, mein bruder und meine mutter waren total auf die organisatorischen sachen fokussiert. nach der datenerfassung fragte sie dann noch einige sachen zu meinem vater und wie wirs machen machen. wir haben uns für eine feuerbestattung entschieden, da meine eltern das schon mal miteinander so diskutiert hatten. nur wie die trauerfeier gemacht wurde, das war offen. urne bestatten, sarg bestatten, wo wie wann was!? keine ahnung. wir haben uns dafür einstimmig entschieden, dass wir meinen vater bei einem waldfriedhof bestatten lassen unter einem baum, also kein klassisches grab, da mein vater nie bock auf a) kirche und sowas hatte und b) auch keine lust auf andere menschen und c) diesen altmodischen rotz immer ganz furchtbar fand. und er war eh immer so ein wald-natur-typ.

und dann gings los.. „so, wir haben den ganzen papierkram erledigt, jetzt gehen wir ans eingemachte.“ – wir standen auf und sie führte uns in einen raum voller särge. ich musste an die szene von dawsons creek denken, als dawson seinen vater verloren hat. „und wie geht es ihnen?“ – „komisch, alle menschen reagieren bedrückt auf diese frage, aber sie sind ja ein alter profi, richtig?“ – „kann man wohl sagen“ – „den da“ und er zeigte auf einen sarg. ich hab die folge erst am wochenende geguckt, weil bei einem freund auch jemand verstorben war und ich mich „einstimmen“ wollte, ihm eine geeignete beileidsmessage zu schreiben. krass. drei tage später brauch ich selber so eine message.

 

donnerstagabend, nach dem tod.

sie zeigte uns die särge und ich muss es zugeben, ich schaute unten auf die schilder zu den preisen. alle vierstellig. ich war eh gespannt, was die beerdigung als ganzes kosten würde, da ich weiß, dass ich die bezahlen oder zumindest vorstrecken muss, weil weder mein bruder, noch meine mutter das geld haben, dachte mir aber gleichzeitig auch: „yolo.“ – jupp, in der tat yolo. – die bestatterin sagte gleich: „so, ich versuche jetzt mal im sinne des papas zu sprechen und zwar: ‚gebet fei ned so viel kohle fr so a holzkischt aus!'“, die ganze familie (bzw. der rest davon, wie ich es empfinde) atmete etwas leicht lachend auf und sie führte uns direkt zu den billigeren modellen, die, um ehrlich zu sein, nicht so viel anders ausgesehen haben als die teuren. die waren auch gleich gekennzeichnet mit: „für feuerbestattung“, die teureren waren alle für normale erdbestattung. es gab nur zwei modelle für die feuerbestattung, beide um die 600 euro, der eine 50 euro weniger als der andere. wir haben uns für den billigeren entschieden, aber nicht wegen des preises, sondern weil der schöner war als der teurere. dann meinte sie, die verstorbenen werden noch mit einem kissen und einer decke gebettet, da empfahl sie uns aber auch gleich etwas schlichtes, quasi was gängiges für die feuerbestattung. und dann gings an die urne. wir standen gefühlt eine milliarde jahre vor der urnenauswahl, die meisten konnten wir sofort ausschließen, weil die… altmodisch, religiös, altbacken aussahen. da wir uns ja für eine baumbestattung entschieden haben, sind sowieso alle stahlurnen ausgeschieden, da diese nicht ins erdreich eingegraben werden dürfen. es gab dann noch so ein .. naturstoff hieß das, glaube ich, was aber auch wie plastik oder stahl oder sowas aussah, halt eben wie lackiert, und ein paar holzurnen. die holzurnen waren alle unikate und kosteten über 600 euro (die naturstoffurnen waren alle bei um die 200 oder billiger), da diese aus einem einzigen baumstück gefertigt wurde. wir standen gefühlt tausend jahre da und mein bruder und meine mutter hatten beide sich nicht mal getraut irgendwie eine tendenz zu äußern. ich wollte die anderen nicht mit meiner meinung beeinflussen, also habe ich direkt meinen bruder angesprochen und meinte so: „kevin, was meinst du?“ und der hatte null plan. weil niemand in die pötte kam, hab ich irgendwann gesagt: „also, ich hab keine ahnung, was baba gefallen hätte, deshalb sage ich einfach jetzt das, was mir am besten gefällt und ich find die da schön“ und hab auf eine der beiden holzurnen gezeigt. die bestatterin meinte: „das wäre zumindest eine sehr gute wahl, da diese holzurnen alle unikate sind“, sie hat ein bisschen was darüber erzählt, wo diese gefertigt werden und so weiter. mein bruder und meine mutter fanden die auch ganz okay, aber man merkte schon, dass das trotzdem nicht befriedigend war. die bestatterin schlug vor, dass wir uns auch ein foto von der auswahl machen und es später in ruhe zu hause entscheiden könnten, aber das wollte ich nicht (hab ich aber nicht geäußert), ich wollte jetzt alles sofort erledigt haben. ich glaub, meinem bruder und meiner mutter gings auch so. die bestatterin hat das auch gemerkt und fing dann an systematisch welche auszuschließen. – „also die da oben fallen ja alle raus, denn wenn sie die nehmen, würden sie ärger mit dem papa bekommen, weil der ja auf das religiöse zeug nie etwas gegeben hat“, hat sie die situation aufgelockert. trotzdem war das echt schwer, irgendetwas auszuwählen bzw. auch nur eine meinung zu äußern. sie sagte dann: „naja, vielleicht wollen sie auch einfach gar keine urne?“ – wir total perplex und sie so: „soll ich ihnen mal den behälter der asche zeigen? das sieht nämlich ohnehin schon edel aus.“ sie ging kurz weg, ich versuchte in der zwischenzeit irgendetwas aus meinem bruder rauszuquetschen, aber der war echt total unsicher. sie kam ein paar minuten später zurück und zeigte ein kleines behältnis aus schwarzem metall (?) in form von einer mini-urne und meinte: „das sieht doch auch schon ganz nett aus, und wenn der papa eher so ein schlichter typ war, der auf sowas nicht viel wert gibt….?“ – aber das gefiel auch keinem, bzw. mir überhaupt gar gar nicht. da wir uns echt uneinig waren, zeigte sie uns auch noch eine holzurne, die man mit acrylfarben selbst bemalen könnte. „malt denn jemand von ihnen gerne?“, ich deutete gleich auf meinen bruder hin, weil der vor ein paar jahren ja wieder mit zeichnen angefangen hat (wir beide sind ja relativ talentiert, was zeichnen angeht), aber .. das war dann auch nix. also ich denke auch, das wäre total überfordernd gewesen für meinen bruder, irgendetwas auf die urne zu malen. die bestatterin meinte, ohne meine gedanken zu kennen: „sie können auch die gäste bitten, etwas auf die urne zu schreiben oder zu malen.“ – boah das hätte mein vater gehasst, war mein gedanke. und ich selbst dachte mir: „nee, also das is ja scheiße, so einen pfusch mit so kritzel drauf, das muss schon was elegantes, professionelles sein.“ war also auch nicht so befriedigend. keine ahnung wie und wann, aber mir ist dann plötzlich eine urne aufgefallen, die ich die ganzen gefühlt letzten zwanzig jahre, die wir schon auf diese auswahl starrten, irgendwie übersehen hatte. die stand direkt neben der bemalbaren urne, die recht wuchtig war, und darum ging die wohl etwas unter. sie war weiß und hatte so wellen drauf. dann meinte ich plötzlich: „oh, die ist auch schön.“ und alle anderen meinten gleich: „oh ja, die ist auch schön.“ ich glaube, die ist bis dato keinem aufgefallen, ging vermutlich jedem so wie mir. irgendjemand meinte: „durch die wellen sieht die aus wie das meer“, mein bruder sagte: „ich finde, sie sieht aus wie eine muschel.“ mein vater wollte ja immer auf die philippinen und ans meer und an den strand und so entschlossen wir uns, diese dann zu nehmen. ich muss ehrlich sagen, ich weiß nicht mehr, ob ich da dann geweint habe, als wir die richtige urne gefunden haben, aber so im nachhinein ist das auch so ein heul-trigger, wenn ich mir vorstelle bzw. wieder vor augen halte, wie wir uns einfach versuchen in meinen vater hineinzuversetzen, was ihm gefallen hätte. auch, wenn mein nüchternes hirn sagt, dass das natürlich quatsch ist, aber man fragt sich manchmal, ob bzw. wie es wäre, wenn er uns zugucken könnte, wie wir drei verbliebenen da total überfragt vor einer URNENauswahl stehen und uns überlegen: „was gefällt wohl papa?“

nachdem die urne auch feststand, sind wir nochmal kurz zurück ins büro, wo wir den papierkram erledigt hatten, sie zählte nochmal alles auf, was wir besprochen hatten und meinte, sie würde jetzt die unterlagen fertig machen. das dauert auch recht lang gefühlt, bestimmt über zehn minuten. ich weiß nicht mehr, worüber wir uns in der zwischenzeit unterhalten haben.

sie kam zurück und sagte: „jetzt gehen wir erstmal das durch, was geld einbringt, statt es zu entziehen.“ – sie erklärte ein paar sachen über die rente und witwenrente und all sowas, bereitete schon alles vor, was wir zu tun haben, also das war alles zugegebenermaßen leicht. ich hab mir das echt hundertmal komplizierter und schwieriger vorgestellt, aber das wurde alles schon sauber von der bestatterin vorbereitet. und dann kam es zum vertrag bzw. zur rechnung. sie sagte den gesamtbetrag und ich dachte mir: „wow, so billig“, weil ich echt mit mindestens dem doppelten gerechnet habe. achja, ich weiß, was wir in der zwischenzeit gemacht haben und zwar lag auf dem tisch ein ordner mit traueranzeigen. wir blätterten die durch und haben über die meisten hergezogen (lol), weil die alle so altbacken waren. wir waren uns uneinig, ob wir eine traueranzeige schalten möchten, da mein vater eigentlich bei der zeitung gearbeitet hatte und traueranzeigen einer seiner liebsten tätigkeiten war. meine mutter hat sogar erzählt (später der bestatterin dann auch noch), dass mein vater sogar schon seine eigene traueranzeige mal zum spaß gesetzt hatte. – „du spinnst doch!“, hat meine mutter ihm damals dann gesagt. wenn es diese noch geben würde, wäre das ja etwas, diese zu veröffentlichen. allerdings muss das schon ungefähr zweihundert windows-versionen her sein, von daher.. japp. naja und andererseits gab mein vater eh immer einen scheiß auf andere leute und wollte sowieso nie groß was rumposaunen. ich glaube, das wäre auch nicht im sinne meines vaters gewesen, eine anzeige zu schalten. sahen eigentlich alle so. ich muss auch sagen, in so ziemlich allen entscheidungen waren wir uns sofort einig und wir hatten auch alle die gleichen gründe, warum wir so dachten wie wir dachten. das war gut. ich glaube, das wäre schlimm gewesen, wenn wir total entgegengesetzte meinungen gehabt hätten.

 

7:12, freitagmorgen nach dem tod.

die bestatterin hat uns dann nach draußen geführt und dann… standen wir erstmal da. in der prallen sonne bei gefühlt fünftausend grad. beim rausgehen hab ich mich dann draußen umgedreht und hab zu meinem bruder und meiner mutter geschaut und meine mutter hat dann so einen gesichtsausdruck gemacht und ich musste plötzlich lachen. die anderen haben fragen geguckt und ich so: „keine ahnung, mama hat gerade genauso perplex geguckt wie ich mich fühle, so richtig: ja und jetzt? XDDD“ und mein bruder auch so von wegen, ja jetzt steht man hier und denkt sich: oh man, „die stadt ist immer noch die gleiche, der deckel (er zeigte auf den gullydeckel, auf dem er stand) ist auch immer noch nur ein deckel, aber alles ist auf einmal anders.“ – weil wir echt keinen plan hatten, wie jetzt alles weitergeht, haben wir uns erstmal darauf geeinigt, dass wir zurück zum altersheim fahren, da bisher noch kein arzt bei meinem vater war und die sterbeurkunde ausgestellt hatte und die für einige unterlagen notwendig war. die sollte dann sobald wie möglich zum bestattungsunternehmen gebracht werden. also direkt da hin.

ich weiß gar nicht wieso, aber irgendwie waren mein bruder und meine mutter schneller dort als tobi und ich. achso, weil wir in eine baustelle geraten sind und mein bruder ist irgendwie einen anderen weg gefahren. na jedenfalls kamen tobi und ich beim altersheim an und das auto meines bruders parkte schon dort. wir sind reingelaufen und ich wollte eigentlich gar nicht mehr in das zimmer. ich war richtig.. keine ahnung, habe die ganze zeit zu tobi gesagt: „boah, ich will ihn aber nicht mehr sehen.“ für mich war die verabschiedung durch und .. nein, ich wollte das einfach nicht mehr. nicht nochmal den schmerz. wir haben trotzdem mal den aufzug genommen, um nach oben zu fahren. eine pflegerin mit dreckwäsche auf den armen sprang schnell hastig auch noch mit in den aufzug und guckte uns an. – „wen besuchen sie denn?“ – „herrn s.“ – sie hat mich erschrocken angeschaut und gefragt: „herr … ?“ und meinen nachnamen nochmal wiederholt, da mein nachname vom klang her etwas schwierig ist und man den leicht missversteht. – „s.“ hab ich ihren „satz“ beantwortet. sie hat besorgt gefragt: „sind sie verwandte?“ – „die tochter.“ und ganz erschrocken sagte sie: „oh gott, mein beileid.“ – „danke.“ wir sind alle auf dem stock meines vaters ausgestiegen und die pflegerin vom aufzug ging gleich zu ihrem kollegen, der auf dem gang stand und sich um eine bewohnerin im rollstuhl kümmerte und meinte: „das ist die tochter von herr s., kannst du bitte zu ihr gehen?“ – ich wusste gar nicht so recht, warum ich jetzt so eine „sonderbehandlung“ bekomme, ich glaube, die dachten halt, ich hätte ihn noch nicht gesehen gehabt. der pfleger kam sofort her und sagte: „ja?“ und ich so: „ich wollte eigentlich nur nach meinem bruder und meiner mutter fragen, sind die hier? sind die drinnen?“ und er so: „ja, die sind schon drinnen, sie können einfach hingehen.“ – und ich dachte mir: ach menno, ich will da aber nicht wieder rein. … mir gings dann genauso wie meinem bruder am anfang, aber wie mein bruder sagte ich mir: „ja gut, dann augen zu und durch.“ und wir sind wieder reingelaufen.

ich weiß gar nicht mehr genau wie und was.. aber .. mein bruder und meine mutter haben, glaub ich, schon geweint, als ich kam. ich glaube, ich brauchte noch eine weile, bis ich wieder soweit war. die trauer kommt in wellen. in manchen momenten kannste lachen und es fühlt sich an, als wäre alles wie immer, und dann kommt eine mini kleine kleinigkeit an erinnerung und es haut dich so aus den latschen, dass du glaubst, du krepierst jetzt gleich auch.

ich glaube, wir waren nicht mehr lang dort. vielleicht zwanzig minuten. mein bruder und meine mutter haben sich da richtig verabschiedet. meine mutter hat meinen vater nochmal umarmt und gesagt: „ich hab dich lieb.“ ich hab das in meinem ganzen leben noch nicht von ihr an ihn gehört. ich fühlte mich die meiste zeit sehr gefestigt, auch wenn ich auch geweint habe, aber ich fühlte mich, als hätte ich „meinen“ moment schon mit ihm gehabt. ich habe meinen bruder so angesehen, der jetzt auch bitterlich geweint hat, ich stand von uns dreien am weitesten weg und blickte dann einfach auf dieses bild – mein bruder, wie er gerade so bitterlich weint, wie ich es genauso in meinem ganzen leben noch nicht gesehen habe und davor mein toter vater in dem bett liegend. das war so ein richtiges bild wie.. ich weiß auch nicht. wie man es aus medien kennt oder aus irgendwelchen religiösen gemälden oder sowas. das war einfach krass. wir, bzw. ich glaube eher mein bruder und meine mutter, zumindest hat die erinnerung das vom gefühl her so abgespeichert, hatten uns dann etwas beruhigt irgendwann, bzw. der heulanfall ist etwas abgeklungen. ich hatte die ganze zeit schon auf den arm geschaut, der etwas verrutscht war. der muss über die letzten stunden, die wir beim bestattungsunternehmen, runtergerutscht sein und so waren seine hände nicht mehr so schön zusammengelegt wie ganz am anfang. mich hat das unheimlich gestört, also bin ich zu ihm hingelaufen auf die andere bettseite, die seite, wo ich auch schon am morgen saß und auch am tag zuvor, als er noch lebte, und wollte seinen arm wieder dorthin schieben. ich fasste hin, spürte schon, wie kalt er war und drückte leicht und merkte, der körper war komplett steif. ich bin sofort zurückgeschreckt und sagte verdutzt, leicht erstaunt: „woah, der arm ist schon ganz hart.“ meine mutter sagte mit verheulter stimme: „ja, das geht schnell.“ und ich war einfach nur .. erstaunt. voll krass ey. und ab da war das für mich .. nur noch wenig „mein vater“. diese gefühl von tod und leiche wurde immer stärker, genauso wie ich es auch schon empfunden hatte, als ich ihn umarmt hatte und sich sein kopf so kalt und hart angefühlt hatte.

wir sind dann gegangen. weinend. ich hab gesagt: „tschüüühüüüss“, so wie ich es immer gesagt habe, wenn ich früher gegangen bin, wie wir es alle sagen, der sound ist eben so ein familieninsider. so hatte sich mein bruder auch irgendwann verabschiedet die letzten stunden, tage, keine ahnung, in dieser letzten beschissenen neuen realität irgendwann und ich fand das so passend. ich habe zwei-, dreimal zurückgesehen beim rauslaufen, der allerletzte blick zurück. ich dachte mir innerlich, weil bei jedem mal, als ich weggesehen habe, mir in den sinn kam: „das war jetzt das letzte mal“, dass ich doch nochmal zurücksehen musste und beim dritten mal dachte ich: „das ist doch dumm und völlig egal, wie oft ich zurückblicke, das wird deshalb nicht anders oder besser, mit jedem mal fühlt es sich gleich beschissen an, also brauchst du nicht nochmal zurücksehen.“ und das habe ich dann auch nicht mehr gemacht.

wir hatten uns gleich bei dem altenpflegerpersonal dafür angemeldet, dass wir am nächsten tag zum ausräumen kommen. so schnell wie möglich den scheiß hinter uns bringen.

und wieder draußen in der prallen hitze, wieder auf dem parkplatz vorm altenheim. wieder total erschöpft vom vielen weinen, von dieser schönen neuen welt. „und jetzt?“ – „ich glaube, jetzt ist für heute alles erledigt“, mein bruder hatte bereits die sterbeurkunde an sich genommen und wollte anschließend nochmal zum bestatter fahren und sie überbringen. generell hat er erstmal einiges an papierkram an sich genommen, weil er ja in dem ort wohnt und vieles erledigen kann, ich wohne ja eine stunde weit weg.

„beate hat vorgeschlagen, wir können anschließend zu ihr. kaffee trinken und vielleicht was vom bäcker essen.“ beate ist tobis mama. ich wusste sofort, dass mein bruder das nicht möchte und eher heim will, für ihn ist beate ja jemand fremdes. er entschuldigte sich jedoch damit, dass er keine zeit habe, er muss nach hause und nach den kindern sehen, denn meine schwägerin hätte am nachmittag noch einen arzttermin. meine mom, tobi und ich sind dann noch zu tobi nach hause gefahren. tobi ist noch auf dem parkplatz beim altersheim zum naheliegenden supermarkt gelaufen und hat beim bäcker so ziemlich die halbe welt eingekauft. jede menge brezeln, süße stückchen / teilchen, ein paar stücke kuchen und zwei stück torte. ich hab das gar nicht gesehen, was er alles eingekauft hatte, da er sofort zum auto lief und das beladen hatte, während mein bruder, meine mutter und ich noch verdutzt am eingang vom altersheim standen und über die nächsten tage geredet hatten. oder sagen wir, den nächsten tag. so viel weitblick hat man da noch nicht, da hangelt man sich einfach nur von tag zu tag. am anfang, direkt nach dem tod, erstmal von minute zu minute oder von handlung zu handlung.

wir waren noch bei beate, tobis papa war ja nicht da, der ist ja zum wandern gegangen, und so saßen wir ruhig in kleiner runde beisammen und haben tatsächlich fast alles aufgegessen. das war eh lustig, beim aussteigen macht tobi so den kofferraum aus und holt die bäckertüten raus, tüte für tüte für tüte für tüte xD .. und meine mutter und ich so: „um himmelswillen, was hast du alles gekauft?“ und er so: „ja ich wusste nicht, was ihr wollt, also hab ich einfach alles mitgenommen.“ xD .. ach, der tobi <3 .. genau die gleiche reaktion gabs dann von beate im wohnzimmer bei tisch nochmal haha. das war dann eigentlich … ganz schön, wenn man das so nennen kann, da zusammen zu sitzen. ich war auch froh drum, dass tobis papa nicht da war.

um 18.00 musste beate noch zu einem termin, den sie aber auch gerne für uns abgesagt hatte, aber wir waren eh kaputt vom tag, also sind wir rechtzeitig gegangen, damit sie sich noch für ihren termin fertigmachen konnte. beim einsteigen hab ich zu meiner mutter gesagt: „mama, wie ist das jetzt? ich habs ja vorher schon mal gesagt, aber du kannst auch ruhig mit tobi und mir nach xyz.“ und wie meine mutter immer ist, unsicher und will nie irgendetwas annehmen, meinte sie so zaghaft: „joa…..“, aber dieses „joa“ ist in der regel keine richtige bestätigung wie „ja“, sondern so ein überbrückungston oder whatever. – „oder willst du lieber in deiner wohnung bleiben? uns isses echt egal bzw. beides recht. wie du willst, kannst gerne mitkommen.“ – und sie so: „ja ich hab aber keine sachen dabei“, so ne richtig typische mama-antwort lol als ob ich erwartet hätte, dass sie ihren kompletten hausrat jedes mal mitnimmt, wenn sie die wohnung verlässt lol. – „ja dann fahren wir jetzt zu deiner wohnung und dann packst halt was ein.“ – also los zur wohnung, tobi und ich blieben im auto und ich so zu tobi: „ist das schon okay für dich so?“ – „ja klar, hab ich ja heute morgen schon gesagt.“ – „ich kann sie jetzt nicht alleine in dieser bude sitzen lassen.“ – „nee, das ist auf jeden fall richtig so, gar keine frage.“

 

und seither wohnt meine mama bei mir im gästezimmer. es ist mittlerweile freitagmorgen um 8:14, ich hab, wie ihr gemerkt habt, immer irgendwie versucht den eintrag zu schreiben. eigentlich wollte ich den tag nach dem tod auch so ausführlich schreiben, aber .. ich schaff das zeitlich gar nicht. ich bin die ganze zeit mit meiner mutter zusammen und sie weiß ja nicht, dass ich tagebuch schreibe, deshalb… japp, schwierig.

es ist gerade 8:15 und ich muss sagen, dass ich den letzten teil etwas.. ja gefestigter getippt habe. gerade gehts. und die momente des „gerade gehts“ genieße ich dann doch ein bisschen, kraft tanken für die momente, in denen’s nicht geht.

meine mutter und ich haben die letzten tage so viel geredet, meine mutter hat mir so viele sachen erzählt, die ich nicht gewusst habe, also.. keine ahnung, ich sehe meinen vater plötzlich aus einem ganz anderen licht und ich kann auch jetzt verstehen, warum sie all die jahre dageblieben ist. irgendwie hat sich jetzt so vieles mehr gefügt, wo ich mir dachte: „du blöde nuss, wieso sagst du das erst jetzt?!“, bei so vielem habe ich das gedacht. aber da werde ich echt einen separaten eintrag schreiben. ich muss diesen hier endlich mal abschließen und dann.. versuche ich am wochenende oder so nochmal einen richtigen eintrag zu schreiben mit.. ja, gefühle. blah. schrott halt. viel heulen und kacke.

 

ich würde gerne den eintrag irgendwie super episch enden lassen, von wegen: „woah, das war jetzt der eintrag über den tod meines vaters, wow“ und so, aber.. die harte realität ist: ich hab hunger. – das war auch so „lustig“, als ich mit tobi am dienstag zum altersheim gefahren bin, das war ziemlich am ende der fahrt, als wir schon so vierzig minuten unterwegs waren, meinte ich auch so: „krass, ich werde gleich meinen vater tot sehen. man stellt sich immer vor, wie sowas mal wird und hat so dramatische szenen im kopf wie aus einem film. aber soll ich dir was sagen?“ – „was denn?“ – „ich muss aufs klo.“ XD – ich musste leicht lachen, tobi auch. er sagte sowas in der art wie: „tja, die realität sieht halt doch ein bisschen anders aus als hollywood.“

aber eins ging mir an dem tag auch durch den kopf. nämlich eine szene aus dawsons creek, das war die folge, in der dawson erfährt, dass pacey und joey ein paar sind und alles super tragisch und verstritten und beschissen am ende ist. ich habe dieses zitat schon öfter gebracht, aber es erschien mir nie so passend wie da. in der szene läuft joey zu pacey und sagt: „’n langer tag, hm?“ – „ich bin nicht scharf darauf, ihn zurück zu spulen und nochmal zu erleben, wenn du das meinst.“

und mit diesem passenden zitat beende ich den eintrag.

suzaku

2 Gedanken zu „Ein langer Tag.

  1. Beileid habe ich ja schon mal gewünscht, und weiterhin viel Kraft.
    So ein Friedwald ist eine echt schöne Sache, da haben wir auch schon jemanden begraben.
    Auch gut, dass deine Mutter jetzt nicht alleine ist. Was eine beschissene Zeit für eure Familie…

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