Stille.

Stille.

ich bin auf arbeit. anders schaffe ich es einfach nicht. fühle mich, als hätte ich was geraucht und total neben mir stehend. DAS ist mal das paralleluniversum.

 

mich nervt es, dass ich mich jetzt selber so kastrieren muss in diesem eintrag, weil ich eben meinen gefühlen nicht freien lauf lassen kann, da ich im büro bin, aber ich glaube, unter gegebenen umständen ist es vielleicht gar nicht so schlecht.

 

ich glaube, es geht zu ende. meine mutter hatte mir schon, als ich noch in köln war, geschrieben, dass es meinem vater sehr schlecht geht, allerdings ist die kommunikation mit meiner mutter immer sehr schwierig. feine nuancen kann man nie erkennen, oder selbst grobe nuancen schon nicht. deshalb meinte ich, ich käme irgendwann diese woche vorbei, wenn ich halt wieder aus köln zurück bin.

 

gestern war ich ja eh schon etwas näher in richtung des altenheims aufgrund dieser arztgeschichte mit der nasalität (weil ich da ja von zuhause aus ne stunde hinfahre und von der arbeit noch länger), und meine mutter schrieb dann: „dein vater weigert sich zu trinken und zu essen. und er schaut nur noch nach oben und macht komische bewegungen, als ob er nach oben greifen würde.“ – das war dann sogar für die kommunikation zwischen meiner mutter und mir eindeutig und ich bin sofort nach meinem arzttermin rübergefahren.

 

ich bin so matsche, da ich diese nacht bestimmt .. keine ahnung, keine drei stunden geschlafen habe und die nacht davor war ja auch schon kurz. ich kann mich gerade auch nicht so recht erinnern, ab wann der schock eingesetzt ist. ob das jetzt direkt da war, als ich ihn gesehen habe, oder später. ich glaube, der schock kam nach und nach, hat sich immer mehr aufgebaut.

 

ich bin ins zimmer gegangen, mein vater lag im bett, die lehne etwas aufgerichtet, meine mutter stand direkt am kopf des betts und hat mich mit verheultem gesicht angeschaut. ich glaube, das war der erste schockmoment. gefühle zeigen, ewwww. in meiner familie ein fremdwort und wenn einer vor dem anderen weint, dann ist es WIRKLICH ernst. (ok, hier muss ich mich zusammenreißen, schön belanglos zu gucken.) wir haben nach dem anfänglichen „hallo“ erstmal gar nichts geredet, meine mutter hielt die hand meines vaters. er lag im bett und hat nur auf die decke gestarrt, mal mit mehr, mal mit weniger geöffneten augen. er hat überhaupt nicht registriert oder reagiert, dass ich reingekommen war. meine mutter sprach irgendwann mehr oder weniger mit ihm wie immer und hat ihm dann langsam ein paar löffel cola gegeben, was anderes trinkt er ja nicht. er kann mittlerweile nicht mal mehr am strohhalm ziehen, aus der schnabeltasse funktioniert auch nicht mehr. sprechen geht gar nicht. ich sage es mal so wie ich es empfunden habe: er ist schon tot. (ok, puh, nochmal zusammenreißen.) er hat überhaupt nicht mehr richtig reagiert, von zwanzig malen, an denen meine mutter gesagt hat: „willst du was trinken? mach mal den mund auf, paar löffel cola..“ – hat er im schnitt einmal den mund geöffnet. die anderen male war er .. wie schon weg. meine mutter hat irgendwann mal zu ihm gesagt: „kennst du die da?“ (ok, pause.) (gut, geht wieder.) und hat zu mir rübergezeigt. sie hat ein paar mal hindeuten müssen, bis er seinen kopf gedreht und mich angeguckt hat. eine reaktion gab es nicht. keine ahnung, ob er es aufgenommen oder irgendwie verstanden hat. oder ob er es noch wusste.

 

das ist auch das, woran ich diesen satz festmache, dieses „er ist schon tot“. da ist keine .. verbindung mehr. ich kann ihm nichts mehr sagen bzw. ich weiß nicht, ob er es versteht bzw. er kann mir auch nicht mehr antworten. dieses normale sich unterhalten ist.. vorbei. in diesem moment schießen mir eine trilliarde gespräche mit meinem vater durch den kopf, die jetzt alle vorbei sind. für immer. ich meine, es fiel ihm schon die letzten wochen, monate, jahre immer schwerer zu antworten, aber jetzt ist es, als wäre er nicht mehr da. und wenn, dann nur noch für wenige momente, in denen man sich nicht sicher ist, ob es so ist.

 

schon als meine mutter neulich ein bild geschickt hatte, sah er… ich kanns nicht anders beschreiben, aber er sah tot aus. er lag mit aufgerichteter lehne im bett, halb aufgerissenem mund und starrte auf die decke. was dieses „tot“ ausmachte, waren die abgemagerten wangen. die sind schon länger abgemagert, aber diesmal wirkte es einfach komplett anders. auch so ein moment, in dem der schock so langsam einsetzt. hand gehalten. auch schockmoment. es ist in meiner familie so unheimlich schwer und .. fremd, sich anzufassen. ich berühre meine eltern wenn, dann nur um ihnen so einen leichten klaps auf die schulter zu geben oder in die seite zu stupsen, wenn man sich gegenseitig verarscht. alles andere ist mir unangenehm und fremd. ich konnte auch gestern ihn nicht irgendwie anfassen. wobei ich mich dahinter verstecken konnte, dass ich an der anderen bettseite stand und meine mutter die einzige hand hielt, die noch funktioniert. die andere ist so verkrampft in sich selbst, das ist ja die gelähmte seite vom schlaganfall.

 

das ist auch etwas, was in letzter zeit hinzugekommen ist. mein vater hat starke schmerzen und meistens schreit er auch vor schmerzen. gestern hat er immer wieder gestöhnt, meine mutter meinte, er würde ab und zu „aua“ sagen und nur anhand dessen weiß sie eigentlich, dass er so schmerzen hat. die gelähmte hand sah auch echt nicht gut aus. ich habe mich erwischt, wie ich versucht habe mit meiner eigenen hand den winkel nachzumachen, um zu verstehen, ob das überhaupt… anatomisch irgendwie… machbar ist? versteht man das? .. allein vom kurzen versuch, meine hand in eine ähnliche stellung zu bringen, wie sie bei meinem vater permanent angewinkelt ist, hat mir mein arm mehrere minuten weh getan.

 

irgendwann ist auch die pflegekraft gekommen und hat meinem vater schmerztropfen gebracht, die ihm meine mutter einflöst hat. eine tablette vom mittag hat er nicht genommen, welche sie dann wieder eingesteckt hat, als sie ging. mir ging durch den kopf, wie ich am wochenende eine dokumentation über überlastetes pflegepersonal angesehen habe und plötzlich fühlte es sich so nah und echt an. wenn man sowas im fernsehen sieht, denkt man: „woah krass“ und in dem moment glaubt man auch echt, man würde das vollkommen verstehen und nachvollziehen. aber erst in so einem moment wie gestern, wenn man vor seinem sterbenden vater sitzt, -spürt- man richtig, dass man es erst JETZT in genau diesem moment versteht, wie sich so eine pflegekraft fühlen muss. nach dieser dokumentation war mir klar, dass im leben keiner dafür zeit hätte, sich eine stunde neben meinen vater zu setzen und ihm fünf löffel cola oder wasser zu geben. wenn das aber keiner tut, dann .. kriegt er nicht mal die fünf löffel. dann steht das tablett zwei stunden unangerührt da, bis es wieder mitgenommen wird.

 

da muss ich auch sagen, das hat nochmal ein ganz anderes bild auf meine mutter geworfen. ich fand schon immer, dass meine mutter eine knallharte sau ist, in so vielen dingen. und in so vielen dinger hunderttausend mal schwächer als andere. in den letzten jahren ist letzteres immer mehr in den vordergrund gerückt, also was mein inneres bild von ihr angeht, während fast mein ganzes leben das erste bild überwiegt hat. was sie alles gearbeitet hat in ihrem leben. früh morgens haushalt, dann vormittags dienst im altenheim, mittags kurz haushalt weitergemacht, nachmittags selbstständig für andere leute gebügelt, abends weiter haushalt und dazwischen mal vllt nach mir gesehen. knallhart.

 

und genauso stand sie da gestern am bett, knallhart, und hat meinem vater versucht zwei löffel brei zu füttern, hat mit ihm gesprochen, obwohl quasi nie eine antwort kam, schon gar keine verständliche und man sowieso nicht wusste, ob er eigentlich noch irgendwas erfassen kann oder nicht. ich saß nur verklemmt da mit berührungsängsten meinem eigenen vater gegenüber und hab mich maximal getraut das bettgestell anzufassen.

 

und genauso standen wir hinterher noch draußen, als die besuchszeit vorbei war, mein bruder kam später auch noch dazu, und plötzlich hat meine mutter schluchzend und weinend gesagt: „ja und am ende bin ich der arsch durch seine lebensweise und seine fresserei. jetzt bin ich ganz alleine.“ klar ist es schlimm, wenn der partner stirbt, selbst, wenn man – wie ich ja immer sage – den 30jährigen in form von einer ehe führt, und natürlich fühlt man sich da alleine, aber irgendwie, ich kann mir nicht helfen, aber in dem moment hat sich mir einmal mehr richtig deutlich aufgedrängt, wie abhängig meine mutter von meinem vater ist. emotional. selbst, wenn sie immer sagt, dass sie ihn eigentlich hasst und er ihr leben zerstört hätte und all das, konnte sie sich ja nie von ihm lösen, eben aufgrund ihrer abhängigkeit.

zwei typische beispiele dafür, wie knallhart und zerbrechlich sie ist, wie ich es in beiden weisen nicht bin. glaube ich. zumindest das knallharte kann ich bezeugen. das andere, weiß nicht.

 

 
als kind bin ich früher immer abends bei meinen eltern gesessen und habe mit ihnen fern gesehen. als ich dann älter wurde, habe ich mich immer mehr in mein zimmer verkrochen. teenies halt. ich habe das schon öfter geschrieben, aber ich frage mich immer, was der letzte film war, den wir zusammen gesehen haben. wann das letzte mal war.

 

ich kann mich irgendwie nicht mehr an den letzten besuch erinnern. wann ich dort war und was wir miteinander geredet haben. ich meine, ich weiß schon, wann ich zuletzt dort war, aber ich weiß nicht mehr, was ich alles meinem vater gesagt habe und wie er reagiert hatte.. er hat schon damals nur noch schwach reagiert und wenig gesprochen, aber .. er war da.

 

wie so die letzte unterhaltung war. worüber sie ging. das letzte mal, als es noch eine verbindung gab. „das letzte mal“, wie das klingt. so endlich. nee, es klingt so… vorbei.

 

ich werde heute nochmal hingehen. ich versuche jetzt so oft es geht hinzugehen. ich habe es gestern schon zu meinem bruder und meiner mutter gesagt, ich glaube nicht, dass wir hier noch von „wochen“ sprechen können. mein bruder meinte, er hofft nicht nur für uns, sondern auch für ihn, dass ich recht habe. das werden jetzt ein paar ätzende tage.

 

ganz ehrlich, ich habe mir das schon immer krass und ätzend vorgestellt, wie das so ist. wenn jemand stirbt, also ich meine, wenn jemand altes oder krankes (oder beides) stirbt und sich nach und nach verändert. aber ich hätte nie gedacht, dass das SO ist. SO krass und SO ätzend. bzw. doch, das schon, aber .. selbst, wenn man es VERSTEHT und nachfühlen WILL, tut man es dennoch nicht. man sitzt da auf seinem kleinen höckerchen im zimmer des altenheims am krankenbett und muss „einfach nur“ aushalten und das is schon übel hart. an das musste ich heute morgen denken, als ich zur arbeit gefahren bin und einen kurzen augenblick kam mir in den sinn, wie mal jemand über mich gesagt hat: „strong ass bad ass chick.“ mhm. naja.

 

mein vater ist irgendwann eingeschlafen, oder zumindest so halb weggedöst, keine ahnung, ob die schmerztropfen so langsam zu wirken begonnen hatten, aber hoffen wir es für ihn. da kam dann auch mein bruder. mit meinem bruder haben wir uns hier und da ein bisschen unterhalten, während es eigentlich nur beklemmend, bedrückend leise war, als er noch nicht da war. da fragt man sich auch, wie das für meinen vater ist. sollen wir uns normal unterhalten oder nicht? schafft das wohlige normalität oder wirkt es ignorant? kriegt er das überhaupt mit? darf man weinen? macht das ein gefühl von „oh gott, um mich muss es ja richtig kacke stehen, wenn die sogar heulen“?! das sind auch so dinge, die mir durch den kopf gingen, als ich verkrampft auf meinem höckerchen saß.

 

ich geh heute nach meiner letzten besprechung nochmal hin. habe zuvor noch überlegt, ob ich die besprechung sausen lassen soll, aber die ist eigentlich wichtig. wie surreal das ist. wenn ich mir vorstelle, ich würde die besprechung verschieben und den ehrlichen grund dafür nennen: „leute, habt ihr vielleicht auch noch morgen zeit? mein vater liegt im sterben und ich weiß nicht, ob ich ihn nochmal lebend sehe. wäre cool, wenns auch am mittwoch ginge.“ – wie die kollegen reagieren würden. daran merkt man mal, wie sehr man im alltag gefangen ist. wie unecht das alles ist. 

 
meine mutter hat einmal gesagt: „schau mal, wer da ist“ und hat auf meinen bruder gezeigt, als mein vater kurz halbwegs wach war, aber immer noch dösig. „alle sind da“, hat sie gesagt. gosh. das haut rein.

mein bruder hat nicht mehr richtig mitbekommen, wie mein vater im wachen zustand ist. ich will mich nicht über ihn stellen, aber ich glaube, für ihn war das gestern nicht so der schock wie für mich, weil er ihn nur schlafend erlebt hat. 

wir sind eine halbe stunde, nachdem die besuchszeit schon vorbei war, gegangen. der abschied war schlimm und seltsam. meine mutter hat sich über meinen vater gebeugt und losgeschluchzt, was wieder – ein mal mehr – den ernst der lage verdeutlicht hat. der anblick war furchtbar. der winkel war furchtbar. es war quasi dieses bild, was meine mutter mir per whatsapp geschickt hatte, das sich nach „tot“ anfühlte, nur in echt und ungefähr trilliarden mal potenziert. ich hab „tschüss baba“ gesagt, so nenne ich meinen vater seit meiner kindheit, und bin heulend rausgelaufen, während mein bruder ihm eine gute nacht gewünscht hat.

wir haben uns noch eine stunde draußen vor dem altenheim unterhalten.

ok, ich kann nicht weiterschreiben.

ihr braucht mir hierzu keine message schreiben. es fühlt sich so an, als ob ich keine worte hierzu brauche.

suzaku

Ein Gedanke zu „Stille.

  1. Ich schreibe doch eine Message, nein, kein „tut mir leid“ – Blabla, sondern etwas ganz Praktisches. Als ich deine Schilderung von Schmerztropfen und Schmerztabletten gelesen habe, deine Schilderung, wie mühsam es ist, deinem Vater einen halben Teelöffel Cola einzuflössen, hat sich in mir alles aufgebäumt. Schmerzen lindern: Es gibt Schmerzpflaster, man muss ihn nicht mit Tropfen und Tabletten quälen, die er nicht schlucken kann. Diese Schmerzpflaster funktionieren BESTENS und er muss nix schlucken. Trinken: Infusion, damit er nicht dursten muss. Bitte, bitte erleichtert ihm seine (vielleicht) letzten Tage oder Wochen!! Und dir schick ich mindestens eine Tonne Mitgefühl, ich weiß wie das ist. Es ist eine schwierige Zeit, aber man überlebt es…

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