Verflogen. + Beschissen wie Scheiße.
erstmal einen energy drink aufgemacht. all die guten vorsätze über bord.
ich habe bis auf meinen geburtstag und im urlaub das ganze jahr über keine süßigkeiten, nein, mehr noch, generell nichts verarbeitetes oder irgendetwas mit zucker gegessen, weder einen energy drink getrunken, noch sonst irgendwas ungesundes gemacht. und das ist für meine wenigkeit schon echt krass, weil ich ein richtiger süßigkeiten-fanatiker bin. ich esse zwar sehr gesund, aber am wochenende, da muss schon mal was süßes her.
ich bin müde. ich hab so viele sachen, die ich mal machen oder auch einfach nur anfangen könnte, aber ich habe null komma gar keine motivation.
manchmal frage ich mich, ob es das schon war. ich meine.. der erste krasse schock, der ging bis donnerstag, neun tage. neun tage, in denen man zerbrochen auf einem seil tänzelnd rumläuft, ständig in gefahr vom seil abzurutschen und loszuheulen. donnerstag der erste gute tag. und jetzt scheint mir der tod so fern. es ist nicht, dass ich verdrängen würde, dass er tot ist, nicht aktiv, aber ich vergesse das total oft, bzw. ich weiß es dann oft, aber fühle gar nichts. dann ist das so ein: „joa, er ist halt tot. *schulterzuck*“ das klingt so gemein, aber ich kann ja nichts daran ändern, wie ich mich fühle. aber ich glaube auch nicht, dass es daran liegt, weils mir egal oder unwichtig ist, sondern weil es so oft einfach nicht zugänglich ist.
ich kann das leider nicht mit der emotion aufschreiben, mit der ich mir die tagebuchnotiz gemacht habe, weil.. speaking of zugänglich, aber ich will trotzdem drüber schreiben und vielleicht kommt das gefühl ja mit dem doing zurück. aber ich hab früher nicht verstanden, oder sagen wir, ich habe es nicht nachvollziehen oder nachfühlen können, warum so viele hinterbliebene sagen, sie können nicht glauben, dass derjenige tot ist. „witzigerweise“ konnte ich das schon in den ersten tagen nicht, als meine mutter das ständig gesagt hatte. ganz rational gesehen hab ich mir gedacht: „warum nicht? du hast ihn doch tot gesehen. und hier ist die sterbeurkunde, die rechnung des begräbnisses, hier sind zig fakten, die dir beweisen, dass er eben doch tot ist.“ jetzt, wo ein bisschen zeit vergangen ist, kann ich es aber nachempfinden, warum so viele das sagen. einfach, weil der hauptbeweis verschwunden ist. der leichnam. das einzige, was man erfassen kann, ist, dass diese person weg ist. das heißt – auf eine ganz dämliche art und weise – aber nicht, dass derjenige auch *tot* ist, nein, er ist nur einfach nicht da. abwesend. und das ist das, was es so schwierig macht. man hat denjenigen zwar tot gesehen, aber das wissen daran, die erinnerung, verblasst irgendwie. nicht die erinnerung selbst, ich weiß noch ganz genau, wie ich da saß und meinen vater da liegen gesehen hab, aber das bewusstsein darüber verblasst. dieses gefühl, dass es *echt* ist. man bräuchte eigentlich, makaber ausgedrückt, permanent den toten körper um sich, um zu checken, dass derjenige auch wirklich gestorben ist. aber so hat man einen kurzen moment (im bestfall, viele haben das ja gar nicht) und dann heißt es: „tschö für immer.“ – das find ich eh so krass. dieses … verabschieden. das: „ja, sie können reingehen und sich verabschieden.“ ich meine, da soll man sich innerhalb von einer halben stunde oder meinetwegen auch ein, zwei stunden von jemandem verabschieden, mit dem man sein ganzes leben geteilt hat, den man kennt, seit man überhaupt auf der welt ist. jemanden, ohne den man sein eigenes leben gar nicht kennt. ich meine, klar, was wäre die alternative, da gibts keine alternative. aber genau genommen ist das schon echt krass.
neulich bin ich morgens zur arbeit gefahren und normalerweise achte ich da nicht so sonderlich drauf, aber an dem tag ist hinter mir einer gefahren, der unbedingt überholen wollte und es wohl demnach sehr eilig hatte. er hat immer wieder ausgeschert, aber nachdem ich selber einer kolonne hinterher gefahren war, war das nicht sonderlich erfolgreich. ich hab dann in den rückspiegel geschaut und sah den fahrer, ein mann, vermutlich mitte dreißig, neben ihm ein kleines kind auf dem kindersitz und auf dem rücksitz nochmal eins. er hat, als ich in den rückspiegel schaute, irgendwie das kind auf dem beifahrersitz bespaßt, zumindest hat er mit seiner hand irgendwie da rumgefuchtelt. ich sah den typi mit seinen zwei kids an und dachte mir: „die haben noch alles vor sich“, und gleichzeitig daran, wie unsere geschichte schon vorbei ist. die geschichte von meiner familie mit meinem vater. ähnliche gedanken kommen mir immer mal wieder. wenn man bedenkt, mit wie vielen kleinigkeiten mein vater sich beschäftigt hat, wir uns alle beschäftigen, die dann irgendwann einfach unwichtig sind und sich erledigt haben.
genauso habe ich neulich eine dokumentation über pflegebedürftige gesehen, die zu hause von ausländischem personal rund um die uhr betreut werden. pflegepersonal aus nahost. irgendwann erwähnte der sprecher erhebliche kosten, die auf die angehörigen zukämen, bei diesem und jenem fall, und ich hab intuitiv einen kleinen schrecken bekommen und aufs handy geschaut, von welchem jahr die doku ist. vier jahre alt. dann kam mir, eigentlich ist es eh egal. mein vater ist ja schon tot. da gibts keine kosten mehr. das thema hat sich erledigt.
oder das thema mit der vollmacht. oder patientenverfügung, von der wir noch vor ein paar monaten geredet haben. und mit einem schlag hat sich das von selbst erledigt.
neulich habe ich gelesen, dass trauer menschen verändert. dann habe ich mich gefragt, ob mich trauer auch verändert hat, und langfristig verändern wird. aber irgendwie bezweifle ich das. ich hab keine neuen erkenntnisse gewonnen, die mich mein leben komplett anders leben lassen. kleinigkeiten vielleicht, aber ob die langanhaltend sind, naja. ich könnte ja jetzt schreiben, dass ich menschen, die mir vorher schon nicht mehr so sympathisch waren, nun komplett abspalte. negatives abstoßen, mit dem man sich viel zu lang beschäftigt hat. ja. zum beispiel den kontakt zu dieser einen freundin, die sich ja ach so dolle mit trauer auskennt, aber einen alten scheiß mit mir redet, einschlafen lassen. auf die hab ich tatsächlich gerade wirklich einen brast, da antworte ich schon gar nicht mehr, wenn die was im gruppenchat schreibt. aber ob das von dauer ist, wer weiß das schon? das ist wie das bewusstsein, dass derjenige eben tot ist. verfliegt sehr schnell.
4 Gedanken zu „Verflogen. + Beschissen wie Scheiße.“
Deine Einträge in den letzten zwei Wochen habe ich mit großer Teilnahme gelesen. Und, ja, auch zunehmender Bewunderung für deine verbal überzeugende und dadurch nachvollziehbare Beschreibung deiner Gefühle, wenn auch weiterhin gilt, dass wohl jeder Mensch anders trauert. Wie du das beschreibst, die „Abwesenheit“ des Verstorbenen und dass das, rein oberflächlich gesehen, nicht mehr bis in die Bereiche scharfen Schmerzes hineinreicht (wenn ich dich da halbwegs richtig verstanden habe) – diese Erfahrung habe ich auch gemacht. Ich könnte meinen diesbezüglichen Zustand etwa so beschreiben, dass es für mich so ist, als würde ich schwimmen, vielleicht sogar mit einer Schwimmhilfe, und um den scharfen Schmerz zu erreichen, müsste ich aktiv unter die Wasseroberfläche tauchen, mich aktiv dahin bewegen, wo dieses Wehtun wohnt. Mein schlechtes Gewissen hat mich diesbezüglich gepeinigt und tut es immer noch hin und wieder, doch scheint es auch eine Art Selbstschutz zu sein, sich von diesem Schmerz bis zu einem gewissen Grad „trennen“ zu können. Für mich ist da eine dicke Schichte, etwas irgendwie wollig Weiches, unbestimmt in seinen Rändern, durch das ich hindurchmüsste, um den Tod meiner Eltern tatsächlich noch einmal wahrhaftig und nahe „wahrzunehmen“. Sie sind abwesend. In meinem Garten sind zwei richtig große Bäume, die für mich meine Eltern symbolisieren, ich hoffe, ich muss sie nie umschneiden. Interessanterweise war die Trauer um meinen Vater um einiges intensiver als bei meiner Mutter, vielleicht deshalb, weil niemand von uns bei ihm sein konnte, als er starb. Meiner Mutter hingegen habe ich, wie man so sagt, die Augen zugemacht, nachdem sie ihren letzten Atemzug getan hat. Und noch etwas: Möglicherweise habe ich dich mit meinem letzten Kommentar vor den Kopf gestoßen, als ich Schmerzpflaster und Infusion empfohlen habe. Das meinte ich nicht auf dich und deine Mutter bezogen, sondern auf das Pflegepersonal, das mir laut deiner Schilderungen in der Hinsicht etwas gedankenlos vorkam. Da ich aber natürlich die konkrete Situation nicht kenne, hat das nichts zu bedeuten, ich nehme mal an, dass man in so einer Einrichtung schon weiß, was zu tun ist. Verzeih daher bitte meine wahrscheinlich recht vorlaute Bemerkung. Alle guten Wünsche dir!
Gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest 🙂
Ich weiß ganz genau, was du meinst, ich kann das Kompliment nur zurückgeben mit dem Beschreiben der eigenen Gefühle, das mit dem Schwimmen und dem scharfen Schmerz, genauso fühlt es sich an. Es ist auch schön, schwimmen zu können, die Kontrolle darüber zu haben, wann man zum Schmerz abtaucht und man erwischt sich auch dabei, dass man es „genießt“, an der Wasseroberfläche zu dümpeln und nicht hilflos der Tiefe des Wassers ausgeliefert zu sein. Ich habe hier bloß immer Angst, dass das einfach nur Verdrängen ist und mit einem Schlag schaffe ich es nicht mehr es wegzuschieben und dann ersaufe ich komplett. Aber obs wirklich so ist, das zeigt nur die Zeit. Dir auch alles Gute!
Die Situationen sind nicht vergleichbar, aber ich kann ein paar Sätze zum deinem Thema „begreifen“ hinterlassen. Als vor 1,5 Jahren mein Patenonkel tot in seinem Haus gefunden wurde, hatte ich das auch erst nach ein paar Wochen wirklich verinnerlicht. Vorher kam mir immer mal wieder Gedanken wie „Meine Mutter erzählt bestimmt bald wieder, was er diesmal für schräge Dinge gemacht hat“ oder „Beim nächsten Besuch bei meiner Mutter wird er es bestimmt wieder nicht schaffen, gleichzeitig mit uns dort zu sein… oder wenn doch, wird wieder verpeilt irgendwelches seltsame Zeug erzählen“. Aber weil ich kein besonders enges Verhältnis zu ihm hatte und ihn nur selten gesehen habe, hat mich sein Tod nicht allzu sehr berührt, muss ich gestehen.
Das war beim Tod meines Opas vor 10 Jahren anders. Ich habe heute noch manchmal ein schlechtes Gewissen, ihn in den Jahren vorher nur selten besucht oder getroffen zu haben. Ich war mir immer sicher, er wird mindestens 100 Jahre alt, weil er lange noch sehr fit, agil und sportlich war. Als ich noch ein Kind war, haben wir viel zusammen unternommen. Seinen körperlichen Abbau beim Altwerden habe ich lange Zeit nicht mitbekommen und war bei den letzten Besuchen ein wenig geschockt, wie sehr man ihm das „plötzlich“ anmerkte. Plötzlich aber eigentlich nur für mich, weil ich so wenig Kontakt hatte. (Meine Familie lebt verstreut über mehrere Bundesländer und naja, irgendwann hatte ich halt mein eigenes Leben relativ unabhängig von der Verwandtschaft.) Bei ihm habe ich es komischerweise schneller begriffen. Ein Grund war wahrscheinlich, dass ich an seiner Beerdigung teilnehmen konnte. Bei meinem Onkel ging das wegen Corona nicht.
Weiterhin alles Gute dir.
kann ich in beiden fällen sehr nachvollziehen. danke, das wünsche ich dir auch.